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Leonie Della Casa

Spieglein, Spieglein auf dem Abfallberg

Eine monatliche oder wöchentliche Tätigkeit, um Ballast abzuwerfen, ist der Besuch beim Kehrichtcontainer. Dabei ist Abfall der Spiegel unseres Konsums. Die Schweiz verzeichnet das weltweit höchste Abfallaufkommen im Jahr pro Person.


Die Schweiz ist doppelte Weltmeisterin

Von 1970 bis 2016 hat sich die jährliche Produktion von Abfall mit 309 Kilogramm auf 716 Kilogramm pro Person mehr als verdoppelt. Unter anderem ist diese Zunahme auf unser Wirtschaftswachstum und den damit verbundenen Wohlstand zurückzuführen. Zukünftig wird sich das Wirtschaftswachstum tendenziell weiter erhöhen und folglich auch unser Konsumniveau. Mit der Koppelung von Konsum und Abfallaufkommen werden sich die Kehrichtsäcke weiter häufen.



Doch produzierten wir im Laufe der Zeit nicht nur immer mehr Müll, sondern entwickelten uns zu Recycling-Weltmeistern. Schweizer:innen wurden mit der Zeit zu fleissigen Bienen im separierten Sammeln. Die Mengen pro Person haben sich seit 1992 beinahe verdoppelt und betragen heute etwa 350 Kilogramm pro Jahr. Gut die Hälfte des Siedlungsabfalls wird heute bei uns gesammelt, sortiert und rezykliert. Trotzdem verliert die schweizerische Recycling-Medaille durch unsere Wegwerfmentalität an Glanz.


Das Recycling von PET und Plastikflaschen hat sich seit den 1990er Jahren etabliert. Dies ist aber noch nicht bei allen Kunststoffverpackungen oder -produkten der Fall. Grund dafür ist die heterogene Zusammensetzung von Plastik und den verschiedensten Zusatzstoffen. Die Wiederverwertung hat grosses Verbesserungspotenzial und ist deshalb der energetischen Verwertung in Kehrichtverbrennungsanlagen vorzuziehen. Denn dadurch wird die graue Energie (die zur Herstellung von Kunststoff benötigte Energie) nicht verschwendet. Im Haushalt sollten also künftig Plastikverpackungen nicht im Kehricht landen, sondern in Kunststoffsammelsäcken separiert entsorgt werden.


In der Abfallhierarchie wird die Priorisierung im Umgang mit Abfall beschrieben. An oberster Stelle steht «Vermeidung». Doch ist gerade Kunststoff mit seinen vielfältigen Eigenschaften für unterschiedliche Produkte einsetzbar und heiss begehrt. Als effizienter und wertvoller Werkstoff wird er vermehrt kurzlebig, beispielsweise als Takeaway-Verpackung oder Plastikbesteck, eingesetzt. Seine Wertschätzung geht durch seinen alltäglichen und umfangreichen Gebrauch beziehungsweise Verbrauch verloren. In der Schweiz findet viermal mehr Plastik im Jahr den Weg in dem Abfalleimer als im europäischen Durchschnitt.


Das Gewohnheitstier hält uns in der Rolle der Wegwerfgesellschaft fest

In der Fastenzeit gilt es, Gewohnheiten zu hinterfragen und – wie es im traditionellen Sinn gehandhabt wurde – deren Verzicht auszuüben. Das Klimafasten folgt dieser Tradition und ruft auf, die alltägliche Lebensweise klimagerecht anzupassen. Auf Abfall zu verzichten, um die Umwelt zu schützen, klingt gar nicht mal schlecht. Wie lässt sich aber unsere Kehrichtorgie unter Kontrolle bringen oder zumindest entschärfen?


Das Problem am Schopf zu packen, beschreibt die Abfallhierarchie als höchste Priorisierung: Abfall vermeiden. Ambitionierte Klimafastende verschieben dazu ihren Einkauf am besten in Unverpacktläden. Im Kanton Glarus ermöglichen Ursis Füllbar in Glarus und Kostbar Unverpackt in Niederurnen den Verzicht von oft überflüssigem Verpackungsmaterial. Sie bieten ein vielfältiges Sortiment mit regionalen, biologischen Produkten. Die Nahrungsmittel lassen sich in Einmachgläser, Stoffsäcke, stabilen Papiertüten, Glasflaschen, wiederverwendbarem Plastikgeschirr oder Plastikflaschen abfüllen.


Auch beim Bäcker, in der Metzgerei oder Milchzentrale lassen sich Lebensmittel unverpackt kaufen. Dazu braucht es nur etwas Mut, die freundlichen Verkäuferinnen oder Verkäufer beim routinierten Verpacken von Brot, Fleisch oder Käse mit dem eigenen Brotsack oder der mitgebrachen Emaildose zu unterbrechen. Frisches Gemüse, nicht in Plastikfolie ummantelt wie bei Grossverteilern, kann man auf dem Wochenmarkt in Glarus am Mittwoch und Samstag kaufen.


Vermeintlichen Abfall wiederverenden und reziklieren

Eine mildere Möglichkeit zum Klimafasten ist das von der Abfallhierarchie abgeleitete Wiederverwenden und Rezyklieren von Abfall: zum Beispiel leere Gläser für die Zwetschgenkonfitüre und Glasflaschen für Holundersirup im Sommer wegstellen oder Papiersäcke für Brot mehrmals verwenden. Zusätzlich kann man sich zu dieser Zeit an der Nase nehmen, ganz einfach Abfall sorgfältig trennen und in Sammelstellen entsorgen. Zur Erleichterung hilft es, ein eigenes System von Kisten zur täglichen Separierung aufzubauen.


Hohe Relevanz hat auch die deutliche Erkennbarkeit und verständliche Kommunikation, wie der Konsument den Abfall sammeln, und wie dieser anschliessend rezykliert werden kann. Speziell beim Plastik ist es höchste Zeit für die Einführung eines solchen Systems. Erfreulicherweise hat die Umweltkommission des Ständerats am 16. Februar 2021 die Motion zur schweizweiten koordinierten und flächendeckenden Sammlung von Kunststoffabfällen sowie deren hochwertiges Recycling angenommen.


Auch auf internationaler Ebene wurde kürzlich an der Umweltversammlung der Vereinten Nationen am 2. März 2022 in Nairobi eine Resolution zur Beendigung der Plastikverschmutzung sowie zur Erarbeitung eines weltweiten rechtsverbindlichen Übereinkommens angenommen. 175 Staaten entschlossen sich damit, das globale Kunststoffdilemma anzupacken.


Unser Ballast setzt sich aber nicht nur aus Plastikverpackungen, Taschentüchern und Frischhaltefolie zusammen. Zu oft wandern meist noch geniessbare Lebensmittel im Kehrichtsack. Food Waste ist aufgrund der absurden Ressourcenverschwendung und der damit verbundenen Umweltbelastung eine der grössten Sünden unserer Abfall- beziehungsweise Konsumorgie: Es geht um 2,8 Millionen Tonnen vermeidbare Lebensmittelverluste pro Jahr. In Anbetracht der drohenden Hungerkrise wegen des Krieges in der Kornkammmer Ukraine ist diese Zahl sogar noch bizarrer. Im Glarnerland schafft der Verein Ässä fair teilä diesem Phänomen Abhilfe.

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